Grafik zur Emotion Verzweiflung

7 Emotionen beim Übersetzen

Am Wochenende durfte ich sie mal wieder erleben, die 7 Übersetzungsemotionen. Durch die ich bei großen Übersetzungsprojekten regelmäßig durch muss. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt – und wieder zurück.

Kurz vor dem Urlaub winkt ein Wunschkunde mit einem umfangreichen Auftrag (ungefähr 30 Minuten, nachdem ich einen eher mäßig bezahlten Überbrückungsauftrag von einer Agentur angenommen hatte, klar!). 13500 Wörter in 4 Tagen. Zusätzlich 8000 Wörter unterzuvergeben. Es ist ein Neukunde, aus der Baubranche, da gilt: Geht nicht gibt’s nicht.

Doch dieses emotionale Auf und Ab, durch das (der Liebste) und ich in den letzten 4 Tagen gingen!

1. Freudige Erwartung

Mit Trados und Drache bewaffnet ging es am Donnerstag also los. Und es lief ganz gut an. Die Ausschreibungstexte waren allgmeinerer Art, der Rechercheaufwand hielt sich in Grenzen. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit übersetzte ich schon recht final. Das dauerte zwar länger, würde aber den Überarbeitungsaufwand am Ende begrenzen und mir dort wieder Zeit einsparen. Am Ende des ersten Tages blickte ich entspannt auf das Projekt und träumte von einem freien Sonntag.

2. Verzweiflung

Klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Drache und Trados kämpften sich am zweiten Tag mühsam Zeile um Zeile vorwärts. Viele Überschriften, Auflistungen, wenig bis kein Kontext, alles sehr technisch. Dazu ein Gebiet (Gleisbau), das mir noch nicht so leicht von der Hand geht wie beispielsweise Straßenbau. Viel Recherche. Meist war der Drache gar nicht zu verwenden, weil flüssiges Diktieren schlicht nicht möglich war. Am Ende des Tages hatte ich zwar die gewünschten 70 % Fertigstellung erreicht, aber mit sehr vielen mit XXX gekennzeichneten Unsicherheits-/Unwissenheitsstellen. Es war klar, dass da viel Recherche und Detektivarbeit auf mich warten und das Wochenende sicher nicht sehr entspannt werden würde.

3. Von „Ich liebe meinen Beruf“ …

Der Samstag Morgen stimmte mich wieder optimistisch. Das letzte Drittel lief sehr flüssig, der Drache kam wieder gut klar. Mehr Fließtext, keine technischen Feinheiten mehr, sondern Vorschriften zum Winterdienst. Zur Mittagspause waren die 100 % erreicht, ich ging entspannt letzte Urlaubsbesorgungen machen. Nachmittags dann die Überarbeitung. Und dabei diese Freude, wenn man ein Wort, nach dem man lange recherchiert hatte, endlich fand. Wie Detektivspielen! Viele Stellen, die am Tag vorher noch unlösbar schienen, klärten sich entweder aus dem Gesamtkontext oder durch einen neuen Rechercheansatz von selbst. Und das ist Teil an meinem Job, der mir großen Spaß macht!

4. … bis „Warum habe ich nicht was Anständiges gelernt“

Doch dann – man ahnt es schon ‒ das böse Erwachen. Einige Stellen wollten sich mir einfach nicht erschließen. Anfragen in Foren und bei Kollegen ergaben nichts. Panik erfasste mich, was für ein Dokument ich da wohl am Montag liefern würde. Der Kunde wird sicher merken, wie inkompetent ich eigentlich bin. Und überhaupt, warum konnte ich denn nicht einfach Nein sagen und meine letzte Arbeitswoche mit normalem Pensum begehen? Und warum habe ich eigentlich keinen Beruf, bei dem ich Freitag Mittag um 12 Uhr den Rechner ausmache und Urlaub auch Urlaub bedeutet? Ich grummelte vor mich hin, die Recherche wurde immer unproduktiver. Mt einem blöden Gefühl ging ich ins Bett.

5. Erleichterung

Am Sonntag lief es zunächst gut. Wie zuvor schon hatte das Drüberschlafen geholfen, es stellten sich Rechercheerfolge ein. Dennoch zog sich das Ganze länger als geplant. Um 18 Uhr speicherte ich erleichtert eine erste Zielversion aus Trados ab. Jetzt noch die letzten Stellen recherchieren oder mit Kommentar versehen, und ab die Post.

6. Formatierungsfrust

Aber ach, da hatte ich die Rechnung ohne das blöde PDF gemacht. Zwar brav vorher in Word konvertiert, war die Formatierung im fertigen Zieldokument letztlich alles andere als schön, um es mal vorsichtig auszudrücken. Mehr oder weniger Zeile für Zeile musste ich das Dokument durchgehen und nachformatieren. Und es gibt doch keine frustrierende Tätigkeit, wenn man sich so intensiv mit einer Übersetzung beschäftigt und beinahe ein Kunstwerk hervorgebracht hat, sich mit stumpfer Rumklickerei zu befassen! Der Frust nahm in dem Maße zu, in dem der Pegel in der Weinflasche abnahm.

7. Mentaler Totalabsturz

Um 21 Uhr verschickte ich das inzwischen hübsch formatierte Dokument an den Kunden, mit nur 2 kommentierten, noch recherchebedürftigen Stellen. Und dann schaltete ich ab. Letzte Urlaubsvorbereitungen und Auto packen wie in Trance. Komplett runtergefahren. Das gute Gefühl, ein für den Kunden wichtiges Projekt pünktlich und einigermaßen kompetent erledigt zu haben, stellte sich erst heute morgen ein. Und dann vielleicht nochmal, wenn der Rechnungsbetrag auf meinem Konto eingeht …

Ehrlich, jedes Mal, wenn ich ein solches Auf und Ab hinter mir habe, schwöre ich mir (und dem Liebsten): Beim nächsten Mal wird das anders. Ich nehme nur an, was ich bequem erledigen kann, ohne mir die Wochenenden zu versauen und tierischen Stress zu machen. Aber wir wissen ja alle, wie gut das klappen wird, oder? wink

Bild von ErikaWittlieb auf Pixabay

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