Mein erstes Mal: Coworking

Die Handwerker kündigen sich an. Zwei Tage werden sie da sein und Türen und Fenster lackieren. Mir ist sofort klar: Dabei kann ich nicht arbeiten. Der Schreibtisch, an dem ich arbeite, steht im Wohnzimmer, die Wohnung ist offen gestaltet, es gibt keine Möglichkeit, der Unruhe, dem potenziellen Lärm und dem sicheren Farbgestank zu entfliehen.

Ich wollte Coworking immer schon mal ausprobieren, und jetzt habe ich die Gelegenheit bzw. den Anlass. Den Rechner unter den Arm klemmen und an einen externen Schreibtisch umziehen, den mir ein findiger Coworking-Anbieter stunden- oder tagesweise gegen Geld anbietet, das schaue ich mir jetzt mal an.

Coworking – was ist das?

Ich recherchiere verschiedene Anbieter in München. Im Grunde bieten alle ungefähr dasselbe an: einen Schreibtisch, den man halbtages- oder tagesweise mieten kann, inkl. Internetanschluss, Drucker und Gesellschaft. Preislich liegen alle gleich, ein halber Tag an einem einfachen Arbeitsplatz kostet 20 Euro, ein ganzer 30. Daneben kann man die Schreibtische noch monatsweise mieten oder sich in einem ganzen Büroraum ausbreiten, je nach Geschmack und Geldbeutel.

Dann entdecke ich bei einem Spaziergang in unserem Viertel zufällig eine Postkarte, die in einem Kästchen an einem Geschäft steckt. Von außen kann man nicht viel sehen, die Schaufenster sind mit undurchsichtiger Folie bedeckt. Raumsucht heißt der Laden, und ich lese auf der Postkarte, dass hier ebenfalls Mietarbeitsplätze angeboten werden. Prima, direkt in der Nachbarschaft, das ist ja perfekt!

Nun will ich „raumsucht“ also einmal ausprobieren. Die Internetseite gibt leider wenig bis gar nichts her. Lediglich eine Webvisitenkarte mit einer E-Mail-Adresse. Ich schreibe eine Anfrage und erhalte binnen weniger Stunden einen Rückruf. Jürgen (bei raumsucht duzt man sich, das ist entspannt und gefällt mir gut) klärt mit mir ein paar Dinge ab, nennt mir Preise (die gleichen wie bei den anderen Anbietern). Weil er voraussichtlich nicht da sein wird, wenn ich komme, vereinbaren wir einen Termin für die Schlüsselübergabe vorher. Klappt alles prima, und ein bisschen Papierkram später halte ich den Schlüssel zu meinem Arbeitsplatz für die nächsten beiden Tage in den Händen.

 

Coworking Tag 1

Da wird das Word schon ad absurdum geführt. Ich sitze den ganzen Tag alleine in der Raumsucht. Das ist nicht weiter schlimm, ich arbeite unglaublich produktiv, schließlich habe ich ja für den Schreibtisch bezahlt und will mich nicht ablenken lassen. Auf der anderen Seite vermisse ich ja trotz aller Vorteile, die das Homeoffice so mit sich bringt, manchmal Kollegen, mit denen ich mich austauschen kann. Der mit einem über das mistige Wetter flucht. Der einem auf Wunsch auch mal ein Brötchen vom Bäcker mitbringt. Sowas halt. Tja, das klappt natürlich nicht, wenn ich alleine da sitze. Darf ich da überhaupt noch von Coworking sprechen? Nunja, der Output an übersetzten Wörtern ist dafür enorm, das ist ja auch schon was. Ich nutze den Ganztagestarif voll aus (8 Stunden) und verlasse die raumsucht um 18 Uhr.

Coworking Tag 2

Wieder sitze ich zunächst alleine an meinem Schreibtisch. Aus „alter Gewohnheit“ des Vortages breite ich mich an der Garderobe und in der Küche mit meinen Sachen aus. Doch nur eine Stunde später geht die Tür auf, und Stefan kommt herein. Stefan hat einen Arbeitsplatz monatsweise gemietet, er programmiert SAP und flieht aus den gleichen Gründen von zu Hause, aus denen Jürgen mit seinem Kompagnon Torben die Raumsucht ins Leben gerufen hat: Wenig Platz in der Wohnung, seine Frau arbeitet auch von zu Hause, und dann springt da noch ein kleines Kind rum. Keine Chance, sich zu konzentrieren.

Nach einer weiteren Stunde geht die Tür erneut auf, und Ingo kommt herein. Auch Ingo hat einen Arbeitsplatz fest gemietet. Was er macht, habe ich leider nicht erfahren. Aber er bringt Leben in die Bude, denn gegen Nachmittag kommen seine Frau/Freundin/Lebensgefährtin mit Sohnemann Linus vorbei, um ihn abzuholen. Linus ist 14 Monate und mischt die Coworker auf. Wie Ihr Euch denken könnt, ist es mit der Konzentration daher nicht so weit her wie am Tag davor, trotzdem habe ich viel geschafft.

Wie mir raumsucht gefällt?

Raumsucht ist prima. Anderes als die anderen Anbieter ist es nicht zu groß (etwa 15 Arbeitsplätze kann Jürgen bieten) und dadurch recht persönlich. Es gibt eigentlich alles, was man braucht. Schreibtisch mit Licht, schnelles Internet, Schließfächer, einen Drucker, eine ganz gut ausgestattete Küche mit Nespresso-Kaffeemaschine, einen Konferenzraum, eine gemütliche Couch-Ecke, um mal Pause zu machen. Die Menschen hier sind sehr freundlich und angenehm, Stefan und Ingo kennen sich wohl schon länger und tauschen sich hin und wieder auch über ihre Projekte aus.

Zwei Punkte, an denen Raumsucht definitiv noch arbeiten muss:

  1. Stühle. Ehrlich, Jürgen, die Schreibtischstühle gehen gar nicht! Zwar verstellbare, doch sehr unbequeme Holzstühle, die zudem auch auf der höchsten Einstellung zu niedrig sind. Mir als Vieltipperin bohrt sich die ganze Zeit die Schreibtischkante in die Unterarme, das ist sehr unangenehm. Und der Hintern tut nach 8 Stunden weh. Am ersten Tag habe ich meine Daunenjacke als Polster benutzt, am zweiten dann in weiser Voraussicht ein Kissen mitgebracht.
  2. Bringt schnellstmöglich Eure Website an den Start. Wenigstens die Preisliste, die AGB und ein paar Basisinformationen solltet Ihr auf der Seite haben, bis der Rest komplett fertig ist. Eine Webvisitenkarte, auf der man außer einer E-Mail-Adresse und ein paar coolen Sprüchen nichts sieht, schreckt viele ab.

(P.S.: Ich kann Euch da eine gute Texterin empfehlen! ;-) Vielleicht lässt sich da was dealen, Text gegen regelmäßigen Unterschlupf bei Euch oder so … wink)

Mein Fazit:

Coworking ist toll. Wenn man kann und nicht muss. Jeden Tag würde ich das nicht haben wollen. Erst recht, wenn es unruhig ist. Und so sehr die Präsenz zu Hause mich und andere zur Ablenkung verleitet, ab und zu eine Maschine Wäsche anzuwerfen, das geht eben von einem externen Büro aus nicht.
Trotzdem: Mein Traum bleibt ein Platz in einer Bürogemeinschaft von Text- und Grafikkollegen, mit denen man kooperieren und sich austauschen kann. Nahe an den eigenen vier Wänden und preislich so gestaltet, dass man hingehen kann, aber nicht muss. Und bis ich das realisiert kriege oder mir leisten kann, greife ich bestimmt hin und wieder mal auf die Coworking-Variante zurück.

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