Dragon ‒ mein neuer Mitbewohner
Gestatten: Das ist mein neues Haustier, ein Drache. Er ist kürzlich bei mir eingezogen. Und verhält sich beinahe wie ein richtiges Haustier. Er braucht Futter, er möchte, dass man mit ihm redet, und man kann ihn schlafen schicken und wieder aufwecken.
Dragon Naturally Speaking ist eine Spracherkennungssoftware, die mir das Tippen ersparen soll. Ich spreche, der Drache schreibt. Fehlerfrei (wenn er mich richtig hört und ich das Richtige diktiere). Vor der Anschaffung des Drachen habe ich lange gezögert, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass er mir wirklich etwas bringt. Ich tippe sehr schnell, schwer vorstellbar, dass der Drache meine Stundensätze in die Höhe treiben kann, in dem er noch mehr Wörter pro Stunde schafft als ich. Zudem kommt meine Arbeitsweise dem Drachen eigentlich gar nicht entgegen. Wenn ich übersetze, tue ich das normalerweise sehr roh und überarbeite hinterher in mehreren Schritten, feile, bis mir der Text passt. Das geht natürlich beim Diktieren nicht. Da sollte der Satz schon weitestgehend stimmen. Meine Arbeitsweise müsste sich also grundlegend ändern zu „erst denken, dann sprechen‟.
Vor kurzem habe ich über den BDÜ NRW ein halbtägiges Seminar zum Drachen besucht. Und auch danach war ich eigentlich sicher: Das Tier ist nichts für mich.
Doch nachdem ich bei der letzten Kochbuchübersetzung körperliche Probleme aufgrund des Tippens bekam (Schulterverspannung, schmerzende Unterarme etc.), war ich bereit, mich auf einen Versuch einzulassen. Denn das nächste Kochbuchprojekt stand schon ins Haus. Und anders als bei literarischen Werken ist die Übersetzung von Rezepten und Zutatenlisten meist immer gleicher aufgebaut, da gibt es hinterher nicht mehr viel dran zu feilen. Die Sätze kommen quasi in Endfassung aus meinen Fingern. Also dachte ich, ein prima Moment, um den Drachen auszuprobieren. Bringt er mir wirklich Erleichterung, was die körperlichen Beschwerden angeht? Und kann er vielleicht doch meinen Output steigern?
Ich bestellte also den Drachen in der Premium-Version (etwa 100 Euro). Es gibt darüber noch eine Professional-Version mit noch mehr Funktionen, aber für einen ersten Test war mir die Investition (etwa 750 Euro) dann doch zu hoch. Wenn der Drache mir taugt, kann ich immer noch upgraden.
Der erste Tag
Am Montag zieht der Drache also bei uns ein. In einer kleinen Pappschachtel kommen CD-Rom und ein Headset. Immerhin. Über kurz oder lang ist vielleicht auch die Investition für ein besseres Headset erforderlich, eines, das ohne Kabel auskommt. Aber für den Anfang soll mir das hier reichen. (Anmerkung nach dem 4. Tag: Nach 2 Stunden Diktieren tut das Headset an den Ohren weh, es drückt fies. Da wird ziemlich schnell ein neues einziehen müssen.)
Der Drache installiert sich nahezu ohne Interaktion, es dauert allerdings eine Weile. Dann starte ich zum ersten Mal das Programm. Ich werde aufgefordert, mir ein Benutzerprofil anzulegen. Dazu muss ich zunächst einen kurzen Text lesen, um die Lautstärke des Mikrofons zu testen. Danach einen etwas längeren, um die Sprachqualität des Mikrofons zu speichern. Und schließlich lese ich etwa fünf Minuten einen Text (über die Funktionen und Vorzüge des Programms) vor. Dabei analysiert der Drache meine Sprechweise, meine Aussprache und speichert das in meinem persönlichen Profil. Dies ist die Grundlage dafür, dass er hinterher alles, was ich spreche, wiedererkennt, und dient der Erkennungsgenauigkeit. Soweit, so gut.
Das Profil ist gespeichert, es kann losgehen. Zunächst absolviere ich das interaktive Tutorial, das mir angeboten wird. Anfangs ist es noch ziemlich komisch, mit dem Computer zu sprechen. Der Liebste sitzt in Hörweite und grinst sich einen über meinen Befehlston. „Wach auf‟ schaltet den Drachen scharf, „Geh schlafen‟ schickt ihn sozusagen außer Hörweite. Überhaupt laufen alle Befehle im Imperativ. „Klick ok‟, „korrigier das‟, „mach das rückgängig‟. Ich bin oft versucht, ein „bitte‟ hinterherzuschieben. Doch der Drache nimmt mir meinen rüden Ton nicht krumm.
Beim Tutorial lerne ich, worauf ich beim Diktieren achten muss (alles mitdiktieren, Kommas, Großschreibung etc.) und was ich alles machen kann (Formatierung, Korrekturen etc.) Das geht alles noch sehr langsam. Der Drache und ich müssen uns noch aneinander gewöhnen, wie es scheint.
Nach dem Tutorial starte ich das Programm richtig. Auf der rechten Seite des Fensters erscheint eine Hilfsleiste, in der netterweise immer die Befehle stehen, die ich im aktuellen Programmzustand gerade verwenden kann. Sehr nützlich! Ich beginne also mein erstes Diktat, und zwar direkt mit dem neuen Übersetzungsprojekt. Ein Backbuch zum Thema „Glutenfreies Backen‟. Zunächst das Vorwort. Sehr mühsam. Ich vergesse laufend, Kommas oder Großschreibung mitzudiktieren, zudem muss ich dem Drachen viele Dinge neu beibringen (ja, das kann man auch. Der Drache verfügt über ein Basisvokabular, und was er nicht kennt, kann man ihm entweder Wort für Wort beibringen, oder Dateien einlesen lassen, aus denen er unbekanntes Vokabular extrahiert.). Aus Gluten macht der Drache Putin (politisch informiert, das Drachentier), und achja, am Ende der Zeile muss ich ja „Neue Zeile‟ sagen. Und schon wieder ein Komma vergessen. Puh. Nach 3 Rezepten habe ich genug. Getippt hätte ich die auf jeden Fall schneller.
Der zweite Tag
Ich will dem Drachen noch eine Chance geben. Schließlich habe ich schon gehört, dass der Anfang mühselig ist. Er will halt trainiert werden. Und hej, der Anfang mit dem ersten CAT-Tool war auch mühselig. Heute erhöhen sich meine Stundenhonorare imens, weil ich durch Across und Trados so viel Zeit spare.
Also ein neuer Versuch. Ich diktiere dem Drachen einen Vortrag, den ich im Sommer halten soll und bereits von Hand vorgeschrieben habe. Dabei muss ich nicht mehr selbst formulieren, nur noch ablesen. Das klappt schon besser. Ich vergesse auch nur noch jedes zweite Komma. Man lernt ja dazu!
Der dritte Tag
Gleich zu Beginn jedes Arbeitstages 1 Stunde Drachentraining, habe ich mir vorgenommen. Also weiter im Backbuch-Text. Und siehe da, Ricarda und Drache werden routinierter. Die Kommas sitzen, Großschreibung meist auch. Absolut uneinig sind wir uns über die Zahl 1/2 ‒ was in Rezepten ja leider sehr, sehr häufig vorkommt. Ich möchte, dass er nicht ein halb oder Einheit schreibt, sondern 1/2. Dazu speichere ich die Schreibweise 1/2 mit der gesprochenen Form einhalb. Doch der Drache zeigt sich unbelehrbar. In 1 von 5 Versuchen entlocke ich ihm die Ziffernschreibweise, ansonsten bleibt er stur bei ein halb. Doch ich kann ja schlecht die Wörter ein und Halb löschen, damit er die nicht mehr schreibt. Ich könnte sie ja ganz vielleicht noch an anderer Stelle brauchen … Dank des Seminars weiß ich aber schon, wie ich ihn austricksen kann. Ich speichere die geschriebene Form 1/2 zusammen mit der gesprochenen Form Halbzahl, verwende also ein Fantasiewort, und siehe da, plötzlich verstehen wir uns! Gewusst wie.
So korrigiert man den Drachen. (Und in der rechten Spalte ist die Hilfsleiste von Dragon zu sehen, ein sehr nützliches Tool!)
Wie es mit dem Drachen weitergeht, erfahrt Ihr in Kürze im zweiten Teil meines Tests!
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